Überall wird gewählt: erst jüngst in Frankreich, Griechenland und Schleswig-Holstein, gestern in NRW und bald, nämlich am 1. Juli, in Mexiko (ich komme gleich darauf zurück). Für Meinungsforscher sind das spannende Zeiten!
Wahlen sind so ziemlich die einzige Möglichkeit, die Prognosegüte der Erhebungsinstrumente zu validieren. Normalerweise ist der wahre Wert ja nicht bekannt, sondern nur das Ergebnis einer Umfrage. Ob alle Kunden wirklich so zufrieden sind, wie die Umfrage behauptet, wird man nie herausfinden können – ob das amtliche Endergebnis einer Wahl korrekt vorhergesagt wurde schon.
Spannender als das richtige Ergebnis ist daran aber, dass sich die Markt- und Meinungsforschung hier in der Öffentlichkeit abspielt – und das ist alles andere als selbstverständlich. Klar, dass eine solche Öffentlichkeit immer wieder die Gemüter erhitzt: Gute Umfragewerte oder positive Trends werden häufig als weiteres Argument für eine Partei ins Feld geführt und können die Partei stärken. Prognosen an der 5%-Hürde bewegen Wähler dagegen zur Taktiererei – hier können wenige Stimmen über Mehrheitsverhältnisse entscheiden. Und so findet im Umfeld von Wahlen auch immer wieder die einzige populärwissenschaftliche Methodendiskussion statt, die es in den Sozialwissenschaften gibt.
Etwa in Mexiko. Hier kursieren mehrere Videos im Internet, die sich inhaltlich kaum unterscheiden: auch wenn die Wahlumfragen einen klaren Sieg des sozialdemokratischen PRI vorhersagen, so könne die Wahl dennoch noch von der drittstärksten Partei, des sozialistischen PRD gewonnen werden. Dazu – so die Argumentation der Filmemacher – könnten alleine schon diejenigen ausreichen, die in der Umfrage keine Parteienpräferenz genannt haben; in jedem Fall aber diejenigen, die ihre Teilnahme an der Umfrage verweigert haben. Für viele Mexikaner, gerade in der bildungsfernen Unterschicht, ist diese Argumentation sicherlich schwer zu durchschauen.
Urheber vieler Wahlprognosen ist das Team um Roy Campos vom Mitofsky-Institut. Als lügnerische Umfragen werden deren Studien gebrandmarkt, als Manipulation und Irreführung der Öffentlichkeit. Insofern ist es verständlich, dass sich Roy Campos immer wieder öffentlich zu methodischen Fragestellungen äußert – und in Anbetracht seines Publikums wunderbar anschauliche populärwissenschaftliche Bilder formuliert. So zum Beispiel zur Repräsentativität:
Ein Löffel Suppe ist genug, um den Geschmack im Topf zu probieren.
(Una cuchara de sopa es suficiente para probar una olla)
Davor muss man im Topf natürlich gut umrühren, wie er anmerkt. 🙂 Lernen kann man aus dieser Situation jedenfalls eine Menge: In Mexiko scheint es (zumindest vorübergehend) eine an der öffentlichen Meinung interessierte Öffentlichkeit zu geben. Dieses Interesse hat natürlich einen Anlass, wird aber auch von der Meinungsforschung genährt – und bietet ihr umgehkehrt so eine Plattform, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren: kompetent, relevant, nah am Menschen.
Wäre das nicht was für Deutschland? Bis zur nächsten Wahl müssen wir zwar noch etwas warten, doch der nächste Tag der Marktforschung kommt bestimmt. Oder interessiert es die Deutschen nicht, was die anderen Leute denken?
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